Laut dem neusten ADAC Mobilitätsindex macht NRW zwischen 2015 und 2019 Rückschritte bei der Zuverlässigkeit der Verkehrssysteme und der Verkehrssicherheit. Zusätzlich sinken die CO2-Emissionen kaum. Zwar hat das Bevölkerungsdichteste Bundesland leichte Fortschritte beim Klimaschutz und der Verfügbarkeit von Mobilitätsangeboten gemacht, diese wurden aber durch Rückschritte bei der Zuverlässigkeit der Verkehrssysteme und der allgemeinen Verkehrssicherheit wieder aufgehoben.
Kaum Veränderungen zwischen 2015-2019
Der Landesindex für die ganzheitliche Bewertung nachhaltiger Mobilität entwickelte sich in NRW von 2015 (Basisjahr) zu 2019 ähnlich wie der Gesamtindex auf Bundesebene und stagniert unverändert bei 100.
Entwicklungen in der Übersicht
In Nordrhein-Westfalen sterben, bezogen auf die Bevölkerungszahl, weniger Menschen auf den Straßen als in allen anderen Flächenländern. Die Zahl der Verkehrstoten sank von 522 im Jahr 2015 auf 456 im Jahr 2019. Gleichzeitig erhöhte sich jedoch die Zahl der Schwerverletzten (von 13.171 auf 13.532). Die Höhe der Sachschäden stieg von 4,88 auf 5,06 Milliarden Euro. Die Zahl der Unfälle wuchs so stark wie in keinem anderen Bundesland (von 610.700 auf 679.600). Maßgebliche Ursache ist die besonders hohe Verkehrsdichte in Nordrhein-Westfalen. Der Teilindikator Verkehrssicherheit entwickelte sich deshalb trotz weniger Unfällen mit Todesfolge insgesamt negativ und fiel von 100 (2015) auf 98 Punkte (2019). Im Gegensatz dazu verbesserte sich der Bundestrend leicht (Indexwert 2019: 101).
Während in der öffentlichen Diskussion die städtische Verkehrssicherheit große Aufmerksamkeit erfährt, verdeutlichen Unfallanalysen in den Bereichen Pkw- und Motorradnutzung sowie Radverkehr auch erheblichen Handlungsbedarf auf Landstraßen. “Die Straßen- und Radverkehrsinfrastruktur außerorts bleibt ein wichtiges Handlungsfeld”, betont Suthold. Außerdem sollten laut ADAC ältere Radfahrer, insbesondere Pedelec-Nutzer, stärker in den Blick der Präventionsarbeit genommen werden. Für Fahranfänger als besondere Risikogruppe müsse ebenfalls mehr getan werden. “Wir sind dafür, den Lernzeitraum zu erweitern und das Begleitete Fahren auf 16-Jährige zu erweitern. Eine Rückmeldeschleife in gewissem zeitlichen Abstand nach Erhalt der Fahrerlaubnis kann helfen, die eigene Fahrkompetenz unter Anleitung eines Coaches nochmal kritisch zu überprüfen”, fordert Suthold.
Im Bereich Klima und Umwelt zeigt sich in Nordrhein-Westfalen ein differenziertes Bild. Der Teilindex verbesserte sich von 100 auf 104. Vor allem Luftschadstoffe (Feinstaub, Stickoxide) konnten (wie auch deutschlandweit) von 2015 bis 2019 erheblich reduziert werden. Allerdings gelang es in NRW nicht, die Treibhausgasemissionen des Verkehrs (CO2) deutlich zu senken (2015: 1,77 Tonnen pro Einwohner; 2019: 1,71 Tonnen pro Einwohner). Der Energieverbrauch pro Einwohner stieg leicht an (plus 1,5 Prozent), die Lärmbelastung stagnierte.
“Schon um die erforderlichen Minderungen der CO2-Emissionen zu erzielen, muss sich der Wandel des Verkehrssystems erheblich beschleunigen”, sagt Suthold. Der ADAC Experte fordert die Städte auf, ihre Luftreinhaltepläne konsequent umzusetzen. “Wir brauchen weniger Autoverkehr, gerade in den Städten. Die Verbraucher müssen ihr Mobilitätsverhalten ändern, sie müssen dazu aber auch in der Lage sein. Ohne einen schnelleren Ausbau des öffentlichen Verkehrs, der Ladeinfrastruktur oder von Radwegen wird dies nicht gelingen”, betont Suthold. Etwa 40 bis 50 Prozent der mit dem Auto gefahrenen Strecken sind kürzer als fünf Kilometer. “Hier sind das Fahrrad oder der ÖPNV häufig die bessere Alternative.”
Die Verfügbarkeit von Mobilität verbesserte sich in Nordrhein-Westfalen von 2015 bis 2019 überdurchschnittlich und erreichte einen Teilindex-Wert von 108 Punkten (Bund: 103). Einer der Gründe: Die großen Verkehrsverbünde haben ihr Angebot im ÖPNV qualitativ aufgewertet und stärker in die Fläche ausgedehnt: Im Vergleich zu 2015 nahmen die angebotenen Platzkilometer (Platzangebot je Fahrzeug mal Fahrleistung je Fahrzeug) um 20 Prozent zu und stiegen von 64,2 auf 77,3 Milliarden. „Trotzdem gibt es beim ÖPNV-Angebot in NRW noch viel Luft nach oben. Damit sich die Pendlerströme wieder besser verteilen und Straßen entlastet werden, brauchen wir einen attraktiveren ÖPNV als Alternative zum Auto. Dazu gehört in punkto Verfügbarkeit insbesondere eine dichtere Taktung, damit Pendler beim Umsteigen möglichst wenig Zeit verlieren“, sagt Verkehrsexperte Roman Suthold.
In den ländlichen Regionen Nordrhein-Westfalens ist der ÖPNV – in seiner jetzigen Form – aus Sicht des ADAC dagegen weder zeitlich noch wirtschaftlich eine Alternative zum privaten Pkw. “Dort wird es aus Klimasicht entscheidend sein, die Elektrifizierung des Pkw-Bestands voranzutreiben”, erklärt Suthold.
Eine Hauptursache für den stagnierenden NRW-Landesindex ist eine deutliche Verschlechterung des Faktors Zuverlässigkeit auf einen Teilindex-Wert von 87 (minus 13 Punkte). Die Verkehrsachsen in Nord-Süd-Richtung und die enge Verflechtung mit Belgien und den Niederlanden im Westen sind Vor- und Nachteil zugleich. Sie garantieren weiten Teilen Nordrhein-Westfalens eine gute Erreichbarkeit: Unter den Flächenländern hat nur das Saarland einen höheren Autobahnanteil am Straßennetz. Allerdings wird auf diesen Autobahnen ein erheblicher überregionaler Durchgangsverkehr abgewickelt. Kein anderes Flächenland leidet so unter Staus wie NRW. 2019 gab es insgesamt 253.000 Verkehrsstörungen mit einer Gesamtlänge von fast 453.000 Kilometern. Etwa 171.000 Stunden standen die Menschen auf NRWs Autobahnen im Stau. Beim Schienenverkehr blieb der Anteil pünktlicher Fahrten im NRW-Nahverkehr nach Angaben der DB Regio auf dem Niveau von 2015 (92 bis 93 Prozent).
“NRW war, ist und bleibt Stauland Nummer 1. Dafür gibt es vor allem vier Gründe: extrem viele Baustellen, hoher Transitverkehr, viele Berufspendler sowie marode und sanierungsbedürftige Brücken”, erläutert Roman Suthold und fordert: “Bau- und Sanierungsprozesse müssen dringend beschleunigt werden, um die Beeinträchtigungen für Verkehrsteilnehmer und Menschen in der Region so gering wie möglich zu halten. Und Arbeitgeber sollten auch nach der Corona-Pandemie an Homeoffice-Regelungen festhalten.”
Der Faktor Bezahlbarkeit setzt die Mobilitätskosten je Haushalt ins Verhältnis zur Einkommensentwicklung. Von 2015 bis 2019 wurde die Mobilität in Deutschland trotz Preissteigerungen bezahlbarer. Im Betrachtungszeitraum erhöhten sich die Einkommen deutlich stärker als die Kosten für Mobilität. Der Indexwert stieg damit auch in NRW auf 104 Punkte. “Steigende Preise für Benzin, ÖPNV-Tickets und Fernzüge führen dazu, dass sich die Bezahlbarkeit von Mobilität nicht mehr so positiv entwickelt”, prognostiziert Suthold. “Zukünftig muss die soziale Komponente eine größere Rolle spielen. Die individuelle Kaufkraft wird nicht bei allen Menschen gleichermaßen zunehmen, sofern es nicht gelingt, die Schere in der Einkommensentwicklung wieder zu schließen.”