Das Beben in der Eisenbahnwelt in NRW geht weiter. Nachdem bekannt ist, dass Abellio in NRW zwar trotz Insolvenz erst Mal bis Ende Januar 2022 weiter macht, drängt das Unternehmen darauf, bestimmte Linien im VRR abzugeben. Der Verkehrsverbund und einzelne Politiker sind empört und erwägen die Linien dann anderweitig not zu vergeben.
Die Aufgabenträger VRR, NWL und VRS haben sich mit Abellio bereits auf einen Weiterbetrieb bis Ende Januar 2022 geeinigt. Nun gibt es aber offenbar ganz neue Pläne für die Zukunft Abellios. Dabei plant die Firma die RRX-Linien sowie die gesamten S-Bahn-Züge im VRR abzugeben.
Zwar werden die laufenden Verluste aufgeteilt zwischen den Verkehrsverbünden mit dem Mutterkonzern von Abellio, der niederländischen Staatsbahn, aber dennoch drängt das Management von Abellio darauf, den Betrieb einiger Linien im VRR aufzugeben.
Übernahme von einzelnen Linien
Abellio begründet die Abgabe der Linien damit, dass einzelne Linien extrem hohe Verluste einfahren würden. Konkret geht es dabei um den RE 1 (RRX), der von Aachen über Düsseldorf bis nach Hamm verkehrt, die S2 zwischen Essen und Dortmund, die S3 zwischen Oberhausen und Hattingen sowie die zwischen Wuppertal und Haltern fahrende S9.
Frank Heidenreich, Vorsitzender der CDU-Fraktion in der Verbandversammlung des VRR ist davon alles andere als Begeistert. „Solches Rosinenpicken geht nicht. Die niederländische Staatsbahn muss zu ihrem Tochterunternehmen Abellio und dessen Verträgen stehen.“
In Kreisen des VRR wurde auch bekannt, dass andere Bahnunternehmen Interesse daran haben, die Linien von Abellio übernehmen zu wollen, sofern das Unternehmen vollständig Insolvent ist.
Darunter soll “National Express” einer der möglichen Kandidaten sein. Bereits jetzt betreibt National Express mit Abellio den RRX und hat daher Erfahrung mit den Zügen. Personell müsste sich National Express dann komplett neu aufstellen: denn aktuell betreibt das Unternehmen neben Büroangestellten nur die Triebfahrzeugführer selbst. Das Prüfpersonal wird von anderen Dienstleistern gestellt. Hier ist denkbar, dass der Verkehrsverbund, der bereits einen “Plan B” ausarbeitet, den neuen Betreiber bzw. die neuen Betreiber dazu verpflichtet, das Personal zu übernehmen.
Unerwartete hohe Kosten sind der Grund
Der Grund für die teils extrem hohen Verluste soll in den hohen Kosten liegen, die bei Abschluss der langfristigen Verträge mit den Verkehrsverbünden nicht abzusehen gewesen seien. Darunter zählen z.B. neue Tarifverträge mit den Gewerkschaften GDL und EVG. Das betrifft neben Abellio aber auch noch weitere Privatbahnen in NRW und Deutschland. So ist Keolis Deutschland mit ihrer Marke “eurobahn” kurz vor einem Verkauf und auch die Deutsche Bahn beklagt sich über höhere nicht absehbare Kosten. Die Verkehrsunternehmen verlangen daher höhere Erstattungen für den Betrieb der Züge. Das wiederum kann zu Problemen führen, da die Bahnunternehmen, die sich ebenfalls für den Betrieb der Züge beworben haben und die Ausschreibung aufgrund eines höheren Preises verloren haben, dann gegen diese Entscheidung rechtlich vorgehen könnten.
Angespannte Situation zwischen VRR und Abellio
Die Diskussion über eine Zukunft bei Abellio ist ebenfalls sehr angespannt. Während der vom Insolvenzrichter eingesetzte generalbevollmächtigte Sanierungsexperte Prof. Lucas Flöther, der immerhin auch schon Condor den Weiterflug ermöglicht, aber Air Berlin abgewickelt hat, aufs Tempo drückt und eine langfristige Lösung möglichst noch im Oktober will, möchte sich der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr nicht zur Eile drängen lassen.
Flöther sagt: Für das angeschlagene Verkehrsunternehmen Abellio muss in NRW den nächsten vier Wochen eine langfristige Lösung gefunden werden. “Nur so kann die Organisation des Betriebs nach dem 31. Januar gewährleistet werden.” Selbst Notlösungen mit anderen Betreibern bräuchten einen Mindestvorlauf von drei Monaten. Dennoch zeigt er sich zuversichtlich, dass es nach der Einigung über einen Weiterbetrieb über zunächst vier Monate nach Ende des vorläufigen Schutzschirmverfahrens gelingen werde, auch eine langfristige Einigung zu erzielen, bei der Abellio auch weiterhin Leistungen im Bahnbetrieb in NRW erbringen werde.
Der VRR sieht die Lage entspannter: “Fakt ist, dass die Aufgabenträger die Planungen zur mit Abellio vereinbarten Fortführung gemeinsam mit dem Unternehmen darauf abgestellt haben, in der Zeit bis Ende Januar 2022 eine für die Zukunft für beide Seiten tragfähige Lösung zu finden.” Es gehe konkret darum auszuloten, welche der Optionen die geeignetste ist, um mittel- und langfristig das Angebot qualitativ und quantitativ fortzuführen und gleichermaßen finanzieren zu können. Man muss nun im Oktober lediglich eine Tendenz erkennen können, ob es mit Abellio weitergehe oder nicht.
Zukunft für Abellio
Das die Aufgabenträger ihre Ausschreibungen zukünftig anpassen müssen, ist dem VRR auch bewusst. Man werde zukünftige Ausschreibungen “neu Denken” und man wolle diese flexibler gestalten. Jetzt werden die kommenden Wochen und Monate zeigen, ob und wie es mit Abellio in NRW weitergeht. Wahrscheinlich dürfte aber zumindest sein, dass man einen Teil seiner Verkehre an andere Unternehmen abgibt.
Ein mögliches Szenario wäre für Abellio, dass die Strafzahlungen für Verspätungen bzw. Streckensperrungen wegfallen würden. So wäre zumindest der Betrieb im Niederrheinnetz (RE 19 bzw. RB 35) und der Betrieb der Linien RE 16 (Ruhr-Sieg-Express – Essen-Bochum-Hagen) und der Ruhr-Lenne-Bahn (RB 40) weiterhin möglich – mit einer schwarzen Null. Für die hoch defizitären Verträge der S-Bahnlinien 2, 3 und 9 an Rhein und Ruhr sowie die RRX-Linien RE 1 (Aachen-Hamm) und RE 11 (Kassel-Düsseldorf) ist denkbar, dass nur noch bis Dezember 2023 von Abellio die Leistungen gefahren werden und in den zwei Jahren bis dorthin neu ausgeschrieben werden. Ob das aber helfen wird, um auch langfristig erfolgreich auf dem Markt bestehen zu bleiben, ist noch offen.