Die zur französischen Staatsbahn SNCF gehörende “eurobahn” könnte Berichten zur Folge bald ebenfalls der Stecker gezogen werden. Nach Abellio ist es das zweite Unternehmen in Deutschland, welches im Nahverkehr kritische finanzielle Probleme öffentlich macht.
An dem für die eurobahn wichtigsten Standort in Hamm beschäftigt das Unternehmen rund 165 Mitarbeiter. Die Züge fahren vom Hamm aus nach Düsseldorf, Bielefeld oder Münster bzw. Paderborn. Auch Fahrten zu den Nachbarn in die Niederlande nach Venlo wird von der eurobahn gefahren.
Das Betreiberunternehmen Keolis, welches hinter den gelben (und manchmal blau-weißen) Regionalzügen steckt, hat wiederholt Millionenverluste eingefahren und sieht selber nun keine Chance, langfristig auf die gerade Bahn wieder zu kommen – es sei denn, die bestehenden Verkehrsverträge würden geändert bzw. bei neuen Ausschreibungen abgeändert werden. Die Verhandlungen laufen seit eineinhalb Jahren ohne Erfolg; einen Ausstieg aus dem deutschen Markt schließt die Firma Keolis daher nicht mehr aus.
Für 2019 veröffentlichte Keolis im Bundesanzeiger einen Fehlbetrag von 33,8 Millionen Euro, für 2018 waren es “nur” 24,1 Millionen Euro. Auf Dauer macht das sicher kein Unternehmen oder Mutterkonzern mit.
Für die Organisation des Regionalverkehrs ist eigentlich das Verkehrsministerium des Landes NRW verantwortlich. Dieses hat die Aufgabe jedoch an Verkehrsverbünde weitergegeben So ist der Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL / WestfalenTarif) und der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) für die eurobahn in NRW zuständig. Sie vergeben die Strecken nach Ausschreibungen meist für 15 Jahre. Für diese in den vereinbarten Zeitraum vereinbarten Leistungen gibt es festgelegte Pauschalbeträge. Verhandelbar sind diese im Nachhinein nicht mehr.
Nachdem schon die niederländische Tochter “Abellio” einen Schutzschirmverfahren beantragt hat (wir berichteten: 🔗 Abellio: Schutzschirmverfahren beantragt – Betrieb geht weiter), sich ebenfalls über die Verkehrsverträge beschwert hat, sieht es auch für die eurobahn nicht gut aus.
Um die ausgeschriebenen Aufträge zu bekommen, müssen die Verkehrsunternehmen knapp kalkulieren, kann die Einnahmen später aber nicht erhöhen. Die Ausgaben können am Ende dann höher ausfallen als vorher berechnet. Darunter könnten dann z.B. neue Tarifverträge sein wo höheres Gehalt gezahlt wird, oder aber auch Strafzahlungen wegen z.B. ausfallenden Züge gegenüber den Verkehrsverbund. Zahlen muss Keolis beispielsweise, wenn der Zug wegen Bauarbeiten Umwege fahren muss und dadurch Verspätung bekommt. Und die Zahl der Baustellen hat sich gerade in beim Streckennetz in Nordrhein-Westfalen durch einen Sanierungsstau in den vergangenen Jahren deutlich erhöht.
Gespräche über bessere wirtschaftliche Bedingungen liefen seit eineinhalb Jahren mit mehreren Eisenbahnunternehmen, sagt der NWL-Sprecher Uli Beele. Bislang jedoch ohne nennenswerten Erfolg. Lösungen seien daher noch nicht in Sicht. Durch finanzielle Nachbesserungen dürften die Ausschreibungen nicht angreifbar z.B. für klagende Mitbewerber gemacht werden. Daher ist eine Nachverhandlung immer juristisch schwer zu stemmen.
Ein Ausstieg aus den laufenden Verkehrsverträgen ist dabei für Keolis eine von mehreren Optionen – die Franzosen wollen den nordrhein-westfälischen Nahverkehr nicht unbegrenzt subventionieren. “Wirtschaftliche Verträge” seien unumgänglich, sagt Keolis-Sprecherin Nicole Pizzuti. Sie ergänzt, “es ist für die Keolis-Gruppe klar, dass dies kein Dauerzustand ist”. Doch aus Unternehmenssicht, hat man sich noch für keine Option entschieden. Man wünscht, dass die Verhandlungen schnell weitergeführt werden und eine klare Aussicht für beide Seiten gestellt werden kann.
Sollten sich die Franzosen tatsächlich aus dem Deutschlandgeschäft verabschieden, würde das die NRW-Bahnwelt kräftig durcheinanderwirbeln. Keolis ist an Rhein und Ruhr seit 20 Jahren aktiv und betreibt derzeit rund 16 Regionalbahn- und Regionalexpress-Linie mit Schwerpunkt im westfälischen Landesteil. Im Ruhrgebiet fährt Keolis unter anderem mit der vielfrequentierten Linie RE 3 (Hamm-Düsseldorf) und dem RE 13 (Hamm-Venlo).
Ein Keolis-Rückzug käme dabei nicht einmal ganz überraschend. Schon länger steht das Düsseldorfer Unternehmen in NRW unter Druck. Erst im Herbst 2019 spitzte sich die Lage im VRR zu, als der Verkehrsverbund den Vertrag mit der Eurobahn für die wichtigen S-Bahn-Linien S1 und S4 kurz vor dem Fahrplanwechsel im Dezember kündigte. Keolis hatte die nötige Zahl an Zugführern laut VRR nicht vorweisen können. Die Deutsche Bahn sprang per Notvergabe ein und betreibt die beiden Linien seither weiter. Der VRR und Keolis einigten sich nach einem zunächst erbittert geführten Rechtsstreit später außergerichtlich. Zeitgleich kündigte das Unternehmen damals an, sich nicht erneut um die beiden S-Bahn-Linien bewerben zu wollen.
Hier fährt die Eurobahn: im Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) und im Westfalentarif (inklusive NWL).
Experten aus dem Verkehrssektor rechnen auch bei künftigen Ausschreibungen mit deutlich höheren Preisen und insgesamt weniger Wettbewerb auf der Schiene. Bei der Vergabe der Linien müssten die Verkehrsverbünde wie der VRR und WestfalenTarif dann wohl tiefer in die Tasche greifen müssen. Das Geld würde an anderer Stelle fehlen: etwa beim klimagerechten Umbau der Infrastruktur.
Fahrgäste müssen bei einem möglichen Aus von Abellio und eurobahn jedoch nicht um ihre Zugverbindungen fürchten. “Der Großteil der Fahrzeuge gehört dem Verkehrsverbund, das Zugpersonal kann auch bei einer Notvergabe sofort vom neuen Betreiber übernommen werden”, versichert Frank Heidenreich, CDU-Fraktionschef in der VRR-Verbandsversammlung und Vorsitzender des VRR-Finanzausschusses gegenüber der WAZ.
Die Leiterin der Unternehmenskommunikation, Frau Nicole Pizzuti, von der eurobahn dementiert die Berichte in einem internen Schreiben an die Mitarbeiter, welches unserer Redaktion vorliegt. In dieser heißt es unter anderem: “Würden diese Gerüchte Bestand haben, können Sie darauf vertrauen, dass Sie derart wichtige Information von uns und nicht von Dritte erfahren würden. Die Gerüchteküche poppt immer wieder auf. (…)”